Klärwerk

Nach Wurzeln graben, Zusammenhänge aufdecken, Hintergründe beleuchten. Im Klärwerk darf es auch mal theoretisch werden. Ein kritisches und politisches Magazin zum Mitdenken.

Buch: "Wo Marx Recht hat" und Fritz Reheis irrt

Der Bamberger Autor Fritz Rehaus veröffentlichte kürzlich eine Marx-Einführung. An tauglicher Lektüre dieser Art fehlt es, obwohl Marx im Augenblick eine Renaissance erlebt. Klärwerk hat sich daher das Buch zu Gemüte geführt und kritisch unter die Lupe genommen.

 

 
AutorIn: Herbert Panzer | Format: | Dauer: Minuten

Dass der seit Jahren voranschreitenden Krisenhaftigkeit unserer Wirtschaft die bürgerlichen Experten zunehmend ratlos gegenüberstehen, verwundert nicht. Aber auch die linke Kritik, zumeist abzielend auf ‚Spekulanten’ oder bestenfalls ‚den Finanzkapitalismus’, zeigt, dass ihr das Marxsche Erklärungspotential abhanden gekommen ist.

Da ist es erfreulich, dass sich zu der kleinen Marx-Renaissance der letzten Jahre jetzt  ein weiteres Buch gesellt, das die Aktualität des Marxschen Denkens aufzeigen will: ‚Wo Marx Recht hat’ von Fritz Reheis, erschienen im Primus Verlag. Die akademische Tätigkeit des Autors ist sicher für Umfang und Breite des Adressatenkreises kein Nachteil, er möchte dementsprechend auch „möglichst viele Türen zu Marx öffnen“ bzw. erreichen, dass die „Beteiligten einander dort abholen, wo sie stehen“.

Reheis’ Buch möchte mehr sein als eine Marx-Zitatensammlung. Sein Ausgangspunkt – mit Marx – ist das doppelte Verhältnis des Menschen, beinhaltend einmal das natürliche oder stoffliche und zum anderen das gesellschaftliche Verhältnis. Diese Verhältnisse gilt es – wie Reheis ausführt  -  präzise zu rekonstruieren.

Marx bleibt in den Frühschriften hier noch recht allgemein, es wird ihm jedoch klar, dass das Verständnis i. B. der gesellschaftlichen Seite eine detaillierte Analyse und Kritik der kapitalistischen Ökonomie erfordert, d.h. der ganz bestimmten Formen , die sie gegenüber allen anderen Ökonomien auszeichnet. Das Ergebnis nach mehr als 20 Jahren Forschungstätigkeit ist Marx’ Hauptwerk ‚Das Kapital’. Sein Gegenstand ist das Bewegungsgesetz der bürgerlichen Ökonomie, also die Darstellung und Kritik der spezifischen ökonomischen Formbestimmungen des Kapitalismus in ihrer gegenseitigen Bedingtheit und Dynamik.

In seiner Gänze kann dies in einer Einführung nicht dargestellt werden. Statt aber in plakative Stereotypen zu verfallen, wie man sie aus dem abzulehnenden „Weltanschauungsmarxismus“ kennt, wählt Reheis einen sehr sinnvollen anderen Ansatz. Er greift in mehreren Kapiteln jeweils ein Thema der aktuellen Kapitalismusdiskussion auf, zeigt, welche kläglichen Diagnosen i. B. die herrschende Wirtschaftswissenschaft dazu bietet, um dann zu zeigen, was Marx zu sagen hat.
Dabei werden ausführlich viele wichtige Marx-Zitate angeführt, über das ganze Spektrum des Marxschen Werkes verteilt. Dazu gelingen Reheis in einigen Kapiteln hervorragende eigene Erläuterungen, teils von beachtlicher inhaltlicher Schärfe, wie z.B. die Charakterisierung unserer Ökonomie als –  „struktureller Gewalt“ aus der „politische Herrschaft (wird)“.

Auf der anderen Seite kommt es - gerade was die von Marx herausgearbeiteten Gegensätze angeht - an vielen Stellen zu merkwürdigen Verwischungen und Verkehrungen. Dies hat damit zu tun, dass Aussagen aus Marx’ Frühwerk und seinem Spätwerk, also aus unterschiedlichen Erkenntnisphasen, zusammengeworfen werden. Oder, was viel schwerer wiegt, dass unter dem ‚Label’ Marx statt Marx über lange Passagen andere Theoretiker zu Wort kommen, die einfach nicht auf der Höhe von Marx argumentieren - ohne dass in der Regel die Divergenz aufgelöst wird.

Ein Beispiel: die Ausbeutung.
Zur Charakterisierung des Kapitalismus ist hier bei Marx durchweg von Ausbeutung der Lohnarbeit durch das Kapital oder ähnlichem die Rede. Reheis bringt hierzu auch die wichtigsten einschlägigen Marx-Zitate. Aber dann fasst er das unter der Formel  „Ausbeutung des Menschen durch den Menschen“ zusammen. In dieser Formulierung kommen strukturelle Klassengegensätze nicht mehr zu Ausdruck. Ebenso wenig die ökonomische Formbestimmung Lohnarbeit. Nicht die ist mehr das Problem, sondern der Mensch . Dazu ist konsistent, dass, „die Lohnabhängigen der Zentren an der Ausbeutung teilhaben“ - wie Reheis mit dem Sozialhistoriker Wallerstein meint.

Wir sind eben alle dem Menschen ein Wolf. Bestätigt das nicht das Volksvorurteil, dass der Sozialismus eine gute Idee sei, wenn nur der Mensch nicht wäre? Oder dass eine höhere moralische oder spirituelle Instanz nötig ist, um den Wolf in uns zu zähmen? Oder dass - wie einige Linke meinen - überhaupt erst ein neuer Mensch geschaffen werden muss?


Als ein weiteres Beispiel: der Ausdruck „Produzieren um der Produktion willen“, der sich als immer wieder kehrende Formel durch das ganze Buch zieht. Während bei Marx dieses Produzieren dazu dient , wie Geld immer mehr Geld erzeugen kann, dreht sich bei Reheis die 'Dienstrichtung' herum:  „Und das Geld? Seine Maßlosigkeit, vor allem wenn es der kapitalistischen Logik der Produzierens um der Produktion willen dient …“ . Nicht mehr die ökonomische Form Geld, sondern die stoffliche Seite , die Produktion, die „Anhäufung von Gütern und Kapital“, wie es Reheis in einem Atemzug zusammenzieht, wird zum Hauptproblem. Und wie kann man es angehen? Indem die Ursache der ‚Produktion um der Produktion willen’ vom Radarschirm gelöscht ist, bleibt nur noch das bloße Dagegensein-Wollen, das Beibringen der richtigen Einstellung.

Und so können sich bruchlos alle diejenigen angesprochen fühlen, denen der Materialismus dieser Welt ein Dorn im Auge ist und die die höheren Werte und Orientierung vermissen; oder auch die Künstliche-Bedürfnis-BekämpferInnen oder WasserpredigerInnen (ob sie nun selbst Wein trinken oder nicht), die im ausgeprägtesten Fall die Unterschicht selbst für deren Probleme verantwortlich machen.

Auch bei TheoretikerInnen des Kapitalismus-kritischen Mainstreams, denen sich Reheis verbunden fühlt, ist die Untermengung ökonomischer Formen unter stoffliche Unterschiede beliebt. Und so wird Solartechnologie (so unbestritten natürlich ihre Vorteile als Technologie sind) oder auch der Ausdruck ‚dezentral’ in Abgrenzung zu  ‚zentral’ flugs zu etwas Anti-Kapitalistischen.

Es ist ja völlig richtig, dass viele der heute hervorstechenden Probleme auf der stofflichen oder Seite der menschlichen Natur in Erscheinung treten, sei es während der Arbeit oder der Reproduktion. Und es ist sehr verdienstvoll, aufzuzeigen, wie Marx sie vor 150 Jahren schon hellsichtig deduziert hat. Nur mit den Verkehrungen, die das Buch dabei in fast jedem Kapitel erzeugt, geht der innere kapitalistische Zusammenhang, das Bewegungsgesetz, leider verloren.
Reheis befasst sich auch mit der Überwindung des Kapitalismus. Was das Leben im „Jenseits des Kapitalismus“ anbelangt, so sind natürlich all die negativen Erscheinungen des heutigen Dieseits verschwunden. Nur die ökonomischen Formbestimmungen, die Marx als Gründe kritisiert hat, um sie vielleicht eines Tages einmal loszuwerden, nämlich Wert, Geld, Kapital, Lohnarbeit, und Markt sind bei Reheis alle wieder da - nur eben irgendwie mit einer „diskursiven Wirtschaftsdemokratie“ kombiniert. Als ob man die Kategorien der bürgerlichen Ökonomie nach Bedarf mit Anderem wie Apps auf einem IPhone zusammenmischen könnte – Utopie in Perfektion eben.

„Marx hätte sich heftig dagegen gewehrt, als Kronzeuge für die Politik Lenins, Stalins, Maos und Honeckers missbraucht  zu werden“ – hier kann man Reheis nur aus ganzem Herzen zustimmen. Aber wie hätte er sich wohl zu jenen kritischen Marx-Experten gestellt, die seine Kritik der politischen Ökonomie dermaßen zerfleddern?

Wer schon auf den Trichter gekommen ist, dass es irgendwie die Ökonomie ist, wo der Hund begraben liegt, dem aber die 2500 Seiten Kapital anfangs noch zu viel sind, kauft sich besser Michael Heinrichs ‚Kritik der Politischen Ökonomie. Eine Einführung’.

Fazit: Reheis öffnet durch die Zitate wirklich viele Türen zu Marx, aber er holt die Leute nicht ab. Aber das sollen Sie ja eh „einander“ selbst tun und so es ist ja nicht ausgeschlossen und zu hoffen, dass sich möglichst viele nach Reheis Lektüre zu Kapital-Lesekreisen zusammenfinden, um dann alle die erzeugten Verwirrungen wieder auflösen zu können. In diesem Sinne ist ‚Wo Marx Recht hat’ ein sehr nützliches Buch.






 

 

 

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